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EuGH: keine Tragung von Verfahrenskosten durch Verbraucher:innen bei missbräuchlichen Vertragsklauseln

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) äußerte sich kürzlich zu offenen Auslegungsverfahren der Klausel-Richtlinie (RL 93/13/EWG) und der Verbraucherkredit-Richtlinie 2008 (RL 2008/48/EG). Das Urteil vom 21.03.2024 (C-714/22, Profi Credit Bulgaria) betrifft ein bulgarisches Vorlageverfahren; die Aussagen des Gerichtshof sind jedoch auch für österreichische Verbraucher:innen von Relevanz.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens schlossen einen Verbraucherkreditvertrag. Der Vertrag war so ausgestaltet, dass die Kund:innen die Möglichkeit hatten, Nebenleistungen zu erwerben, deren Nutzungsregeln in den AGB der Kreditgeberin dargelegt waren. Die Kreditnehmerin erwarb die Nebenleistungen „Fast“ für die vorrangige Prüfung seines Kreditantrags und die vorrangige Bereitstellung der Mittel, und „Flexi“ für die Möglichkeit unter gewissen Voraussetzungen eine Stundung von Monatsraten in Anspruch nehmen zu können.

In weiterer Folge erhob die Kreditnehmerin eine negative Feststellungsklage mit dem Antrag, festzustellen, dass sie der Kreditgeberin den Gesamtbetrag der vereinbarten Zinsen sowie den Gesamtbetrag für die Nebenleistungen „Fast“ und „Flexi“ nicht schulde, weil die entsprechenden Klauseln nichtig seien. Das mit dieser Streitigkeit befasste bulgarische Gericht legte dem EuGH in weiterer Folge mehrere Fragen betreffend die Auslegung der Klausel-RL und der Verbraucherkredit-RL 2008 vor.

 

Kosten für Nebenleistungen als Teil des effektiven Jahreszinses

Der Begriff der „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ iSd Verbraucherkredit-RL 2008 umfasst sämtliche Kosten, die die Verbraucher:innen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen haben und die dem Kreditgeber bekannt sind. Die Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass die Vorschriften der Richtlinie nicht durch eine besondere Vertragsgestaltung umgangen werden können. Dementsprechend sind auch Kosten für Nebenleistungen zu einem Verbraucherkreditvertrag als Gesamtkosten des Vertrages und damit auch des effektiven Jahreszinses einzustufen, wenn der Erwerb dieser Nebenleistungen zwingend ist, damit der Kredit gewährt wird oder wenn diese eine Verschleierung der tatsächlichen Kreditkosten darstellen.

Die Angabe des effektiven Jahreszinses in einem Verbraucherkreditvertrag ist von wesentlicher Bedeutung, weil sie es den Verbraucher:innen ermöglicht, den Umfang ihrer Verpflichtungen einzuschätzen. Die Angabe eines effektiven Jahreszinses, der nicht alle Kosten getreu wiedergibt, nimmt den Verbraucher:innen diese Möglichkeit. Mitgliedstaaten können daher die Sanktion der Verwirkung des Anspruches des Kreditgebers auf Zinsen und Kosten im Falle der Angabe eines falschen effektiven Jahreszinses vorsehen.

 

Kosten für Nebenleistungen nicht „Hauptgegenstand des Vertrages“ iSd Klausel-Richtlinie

Nach Art 4 Abs 2 Klausel-RL ist der Hauptgegenstand des Vertrages der Beurteilung der Missbräuchlichkeit entzogen. Diese Bestimmung ist eng auszulegen. Die Hauptleistungen eines Kreditvertrages bestehen darin, dass sich der Kreditgeber verpflichtet, dem Kreditnehmer einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, während sich der Kreditnehmer in erster Linie verpflichtet, den Betrag (im Allgemeinen zzgl Zinsen) bei Fälligkeit zurückzuzahlen.

Klauseln, die Nebenleistungen in einem Verbraucherkreditvertrag betreffen und Verbraucher:innen, die diese Leistungen erwerben, Priorität bei der Prüfung des Kreditantrags und der Zuzählung des Darlehens einräumen, gehören grundsätzlich nicht zum Hauptgegenstand des Vertrages iSd Art 4 Abs 2 Klausel-RL und sind daher der Beurteilung ihrer Missbräuchlichkeit nicht entzogen. Daran ändert auch nichts, dass diese Kosten in die Gesamtkosten des Verbraucherkredits einfließen.

In inhaltlicher Hinsicht kann eine Klausel eines Verbraucherkreditvertrages, die es Verbraucher:innen ermöglicht, gegen ein zusätzliches Entgelt die monatlichen Kreditraten gestundet zu bekommen oder neu zu staffeln, missbräuchlich sein, nämlich unter anderem dann, wenn diese Kosten im Verhältnis zum Betrag des gewährten Darlehens eindeutig unverhältnismäßig sind.

 

Abschreckende Prozesskostenregelungen unzulässig

Die Verteilung der Kosten eines vor den nationalen Gerichten betriebenen Verfahrens fällt – unter Wahrung der Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität – in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Der Effektivitätsgrundsatz schließt es im Allgemeinen nicht aus, dass Verbraucher:innen bei Erhebung einer Klage auf Feststellung der Missbräuchlichkeit bestimmte Prozesskosten entstehen.

Sehr wohl steht der Effektivitätsgrundsatz jedoch einer Regelung entgegen, nach der es nicht möglich ist, Verbraucher:innen, deren Antrag auf Nichtigerklärung einer Vertragsklausel wegen Missbräuchlichkeit vollumfänglich stattgegeben wurde, die vollständigen Verfahrenskosten zu ersetzen, wenn die Rückerstattung der in Anwendung dieser Klausel gezahlten Beträge jedoch nur teilweise erfolgt, weil es in praxi unmöglich bzw übermäßig schwierig ist, den Rückerstattungsanspruch korrekt zu beziffern. 

 

EuGH 21.03.2024, C-714/22, Profi Credit Bulgaria

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